Dieser Artikel lag schon einige Zeit halbfertig geschrieben in unserem Archiv, aber es braucht ja manchmal einen Anlass zur endgültigen Umsetzung. Dieser kam diesmal in Form einer Interview-Anfrage vom Bayrischen Rundfunk BR zum Tatort München „Einmal wirklich sterben.“ Ohne zu viel zu verraten, es geht um eine junge Frau, die als kleines Mädchen ein familiäres Trauma erlebte und bei einem erneuten Trauma im Hier und Heute keinen adäquaten Ausweg mehr findet. Übrigens ein sehr psychologischer Tatort mit eher wenig Action. Wir wurden dazu gefragt, ob wir einen Bezug zu Resilienz herstellen können. Also, ob Resilienz hätte helfen können und wenn ja, wie.
Die Fragen und unsere Antworten findet Ihr im Tatort-Pressedossier.
Ja, man kann viel erreichen, wenn man sich seiner Resilienz bewusst wird und die bestimmenden Faktoren erlernt oder verbessert. Aber natürlich gibt es Grenzen der Resilienz, denn nicht alle Einflussfaktoren lassen sich nach Belieben steuern. Und es erfordert schon einen hohen Grad an Resilienz, sich wieder aufzurappeln, wenn man ein echtes Trauma erlebt.
Grenzen von Resilienz
„Auch wenn die Forschung die ermutigende Botschaft von der Erlernbarkeit der Resilienz verkündet, zeigen ihre Ergebnisse ebenso die Grenzen der Machbarkeit auf.“
Gerade bei schweren Traumata geht es erst einmal ums „Überleben“. Dann ist Trauerarbeit von Nöten, Aufarbeitung und Reflektion sind unabdingbar, um nicht dauerhaft depressiv oder emotional erstarrt zu bleiben. „Nicht alles ist beherrschbar und manches ist so unerträglich, dass es zynisch wäre, von einem Menschen resilientes Verhalten zu erwarten“, erklärt Ursula Nuber, Diplompsychologin und stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift „Psychologie heute“ in diesem Artikel zur „Planet-Wissen“-Sendung vom WDR zum Thema Resilienz.
Und der amerikanische Resilienzexperte Glen Elder sagt: „Auf der individuellen Ebene besitzen resiliente Personen die Fähigkeit, Möglichkeiten dort zu ergreifen, wo sie sich bieten. Doch dort, wo sich keine Möglichkeiten bieten, sind selbst resiliente Personen machtlos.“
Auf die Resilienz-Faktoren übertragen, bedeutet das: Einige lassen sich leichter erlernen, andere weniger leicht. Wobei das natürlich auch von der individuellen Situation und der Persönlichkeit der Person, um die es geht, abhängt. Resilienz ist ein fluides und sehr persönliches Konstrukt, dass sich im Laufe des Lebens auch verändert. Dem einen fällt es schwerer, soziale Kontakte aufzubauen, dem anderen macht das Loslassen von alten Verhaltensweisen Probleme. Und jemand, der von Kindheit an auf der Verlierer- oder der Opferseite stand und dem das Leben keine Chance gab, hat es besonders schwer, die nötige Resilienz zu entwickeln, um mit Lebenskrisen gut umzugehen.
Glen Elder erinnert in der Zeitschrift „Psychologie heute“ an die Unberechenbarkeit des Schicksals: „Nicht einmal große Begabung und Fleiß garantieren, dass man die Widrigkeiten des Lebens meistern kann – wenn die Chance dazu fehlt.“
Chancen von Resilienz
Trotz bedrückender Umstände gelingt es aber doch ca. 30 Prozent der Menschen, sich aus Krisen aller Art herauszuarbeiten und sogar gestärkt und gewachsen daraus hervorzugehen.
Ca. 30 Prozent gelingt es kaum oder gar nicht. Und der Mehrheit in der Mitte gelingt es mit den Krisen klarzukommen, sie könnte aber mehr daraus machen. Ohne professionelle psychologische Unterstützung gelingt es allerdings nur wenigen Menschen ein echtes Trauma selbst zu bewältigen.
Einer, der im echten Leben als Kind ein Trauma erlitt und der trotzdem ein großes Maß an Resilienz aufwies, als man ihm eine Chance gab, ist Philipp Oprong Spenner aus Nairobi, der jetzt in Hamburg lebt und arbeitet. Obwohl ihm das Wichtigste für ein Kind, nämlich die Familie, früh genommen wurde, ist es ihm mit Hilfe seines Mentors (und späteren Adoptivvaters) gelungen, mentale Stärke nicht nur selbst aufzubauen, sondern bringt diese inzwischen auch Schulkindern bei (Für mehr Infos hier ein Auszug aus der og. „Planet Wissen“-Sendung vom WDR). Obwohl er seine Eltern früh verlor, von seiner Tante vernachlässigt wurde, als Strassenkind in Nairobi lebte, schaffte er es, in ein Waisenhaus, wo man ihm dann den Schulbesuch erlaubte. Darüber gelangte er in ein Patenprogramm und damit in Kontakt mit Dr. Spenner, der ihn später adoptiert. Philipp kämpfte für diese Chancen, sie sind ihm nicht zugeflogen, er erkannte schon als Kind die Chancen, die man ihm bot und nahm sie wahr.
Auch Emma, das Mädchen aus dem Tatort, hätte eine Chance haben können, doch noch glücklich oder wenigstens gesund zu werden, wenn ihr nicht Andere die Entscheidung abgenommen und sie damit in eine für sie scheinbar ausweglose Situation getrieben hätten. Aber seht selbst.
Der Südwestrundfunk SWR4 hatte dazu am Montag nach der Tatort-Ausstrahlung noch ein Radio-Interview mit Nicole ausgestrahlt. Hier findet Ihr einen Mitschnitt.